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Art. Stadium, religiöses
Armin G. Wildeuer
In: D.W. Rehfus (Hg.), Handwörterbuch Philosophie, Göttingen (UTB) 2003, 592f.
Publication year: 2003

Armin G. Wildfeuer: Art. Regel, in: D.W. Rehfus (Hg.), Handwörterbuch Philosophie, Göttingen (UTB) 2003, 592f.

 

Regel

Lat. regula , griech. kanon : ursprünglich Richtmaß / Richtschnur, bereits im römischen Recht im Sinne von Handlungsvorschriften gebrauchter und häufig synonym mit Norm verwendeter Begriff. Eine Regel ist ein Satz, der entweder die Gleichförmigkeit eines Sachverhaltes als Tatsache (theoretische Regel) oder eines Verhaltens als Forderung (praktische Regel, z. B. Verhaltens- und Handlungsanweisungen, Verfahrensvorschriften) ausdrückt. Was einer Regel gehorcht, wird regelmäßig genannt. Im Gegensatz zu einem Gesetz, das immer und überall gilt, hat eine Regel – wenngleich universelle – Geltung nur für die Handlungen eines Typs, der durch genau definierte Umstände und Situationen gekennzeichnet ist, die ihrerseits Voraussetzung der Anwendung und Bedingung der Geltung einer Regel sind. Ist eine Situation von zusätzlichen Faktoren bestimmt, kann dies eine Ausnahme von der Regel rechtfertigen, weil diese nicht mehr greift. Der funktionale Wert von Regeln liegt in der Entlastung von ständiger Improvisation, in der Vorhersehbarkeit, Gleichförmigkeit, Dauerhaftigkeit, Effektivität und sozialen, konfliktreduzierenden Konformität von Handlungen und Verhaltensweisen.

In der neueren Handlungstheorie werden im Ausgang von Rawls (1955) unter dem Gesichtspunkt des regelgeleiteten Handelns konstitutive und regulative Regeln unterschieden. Erstere gehören zur Konstitution einer Handlung, die als solche per definitionem nur zustande kommt, wenn sie Regeln im Sinne ihrer handlungskonstituierenden Bedingungen gehorcht. So kommt die Handlung ›Mord‹ etwa im Unterschied zur Tötung nur dann zustande, wenn der Handelnde die Tötung beabsichtigt. Oder: Wer nicht nach den Regeln spielt, die für das Schachspiel konstitutiv sind, spielt eben kein Schach. Regulative Regeln dagegen, deren explizite Form bestimmte Gebote, Verbote oder Erlaubnisse sind, schreiben für festgelegte Situationen und Umstände ein bestimmtes Handeln oder Verhalten vor, das ausgeführt oder unterlassen werden soll. Sie bilden gleichzeitig das Kriterium für die (Un-)Richtigkeit, Begründung und Rechtfertigung jener Handlungen, die sie verbindlich vorschreiben oder verbieten. In Absetzung von Handlungsregeln im engeren Sinn schreiben teleologische Regeln situationsrelativ die Herstellung oder Bewahrung einer Situation als Zweck des Handelns vor, ohne dadurch bereits im Einzelnen festzulegen, welche konkreten Handlungen bei der Verfolgung dieses Zweckes zu tun oder zu unterlassen sind (vgl. die Regeln der Klugheit und der Geschicklichkeit in der Ethik Kants).

Mit Blick auf ihr Zustandekommen und den Grund ihrer Geltung bzw. Befolgung lassen sich mit Steinvorth drei Arten von Regeln unterscheiden: 1. Konventionelle Regeln (z. B. Verkehrs- und Vereinsregeln, Straf- und Zivilgesetze, manche Spielregeln, Herstellungs- und Verfahrensregeln, institutionelle Regeln) gelten aufgrund einer historisch fixierbaren, mithin kontingenten Übereinkunft oder Setzung. Sie werden bei Nichtbefolgung aufgezwungen und sind jederzeit durch andere konventionelle Regeln ersetzbar. 2. Erfahrungsregeln (z. B. Wetter- und Bauernregeln, Daumenregeln, Rechenregeln, Navigationsregeln etc.) werden, unabhängig davon, ob andere ihnen folgen, deswegen befolgt, weil sie – wie die Erfahrung gezeigt hat – unter gewöhnlichen Umständen den Sachen am besten angemessen sind bzw. weil ihre Befolgung Erfolg erwarten lässt. 3. Naturwüchsige, soziale oder nichtkonventionelle Regeln (z. B. Regeln des sozialen Verhaltens und moralische Regeln, insbesondere Sprachregeln, viele Spielregeln) sind als implizite Regeln weder bewusst konstruiert noch sind sie Produkt einer naturkausalen Notwendigkeit, sondern sie beruhen auf durch gemeinsames Funktionieren und wechselseitige Erwartungen eingebürgerten Verhaltenskoordinationsgewohnheiten. Ihre Befolgung ist vielfach Voraussetzung für die Befolgung der anderen Regeln, sodass sie Bedingung der Möglichkeit sind, konventionelle und Erfahrungsregeln überhaupt treffen zu können. Als explizite Regeln werden sie erst im Nachhinein aufgestellt und begründet. Dies gilt insbesondere für die Sprache, die seit Wittgenstein als regelfolgendes Handeln aufgefasst wird, das konstituiert wird durch Normalitätsbedingungen (Searle) oder Implikaturen (Grice). Die Grammatik als normatives Regelsystem normiert dabei nur sekundär das tatsächliche Sprechen, das sich primär am Wandel der Verhaltensgewohnheiten orientiert und das durch Teilnahme am Sprachgebrauch erlernt wird.

In der Logik spielen Regeln im Kontext logischen Schließens (Schlussregeln,Syllogismus) und als Herstellungsregeln (im Sinne konstitutiver Regeln) v. a. bei der Produktion oder Konstruktion von Formen und Figuren eine wichtige Rolle, wobei diskutiert wird, ob logische Geltung auf begründeten Regeln (wie das die Regellogik unterstellt) oder evidenten Prinzipien (Sätzen) beruht.

B. Gert, Die moralischen Regeln , Frankfurt/M. 1983

F. Kambartel, Th. Jantschek, Art. Regel , in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, hg. v. J. Mittelstraß, Bd. 3, Stuttgart / Weimar 1995, S. 530–532

B. Kible, A. G. Conte, Art. Regel , in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. J. Ritter und K. Gründer, Bd. 8, Basel 1992, Sp. 427–450

J. Rawls, Two Concepts of Rules , in: Philosophical Review 64 (1955), S. 3–32 [dt.: Zwei Regelbegriffe, in: O. Höffe (Hg.), Einführung in die utilitaristische Ethik. Klassische und zeitgenössische Texte, 2. Aufl. Tübingen 1992, S. 135–166]

J. Searle, Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language , Cambridge 1969 (dt.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, 2. Aufl. Frankfurt/M. 1983)

L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchung , Frankfurt/M. 1971

U. Steinvorth, Regel , in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. 4, München 1973, S. 1212–1220

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