Die Rede von „Werten“ hat Hochkonjunktur in allen Bereichen des Lebens. Denn Werte, so formuliert es ein Nachrichtenmagazin, sind gleichsam „das moralische Navigationsgerät des modernen Menschen“. Sie führen „durch den Irrgarten der Möglichkeiten“, gelten als „eiserne Reserve“, sind „die erbaulichen Grundüberzeugungen der Civil Society“, „das Allerheiligste des redlichen Bürgertums, auch Zeitgenossen teuer, die sonst mit Gähnen auf Moralisches reagieren.“ (Bauer 2006, 101)
Die quasi selbstverständliche und inflationär-ubiquitäre Verwendung des Wertbegriffs für alles, was uns „lieb und teuer“ (vgl. Ritsert 2013) ist, kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff zumeist recht unbestimmt und von seinem Bedeutungsgehalt her durchaus schillernd verwendet wird. Dies hängt im Wesentlichen damit zusammen, dass der Begriff „Wert“ – wie die vielfältig mögliche Verwendbarkeit zeigt – ein hoch abstrakter Sammelbegriff oder gar ein modern-postmoderner „Container-Begriff“ ist, in den Vieles und Vielartiges, prima vista Zusammenhangloses, wie in einen Container hineingeworfen werden kann: das Wahre, Gute und Schöne, aber auch Familie, Ehre, Treue, Gerechtigkeit, Gesundheit, Reichtum, Freiheit, Leben, Nation, Glaube, Gewissenhaftigkeit, Wahrheit, Bildung, Kultur, Gold und Geld. Hinzu kommt das ungeklärte Geltungsproblem, weil es einerseits Werte zu geben scheint, deren Werthaftigkeit nur für einige, und andererseits auch Werte, deren Werthaftigkeit für alle evident ist. Auf den ersten Blick jedenfalls lässt die Rede von Werten wie auch der Wertbegriff in seiner allfälligen Verwendung im Unklaren, was er alles unter sich versammelt, was seine Kontur und seinen Inhalt (Intension) ausmacht und wo die Grenzen seiner korrekten Verwendbarkeit liegen, mithin, wie seine Reichweite (Extension) genau zu bestimmen ist. Gerade die empirische Sozialforschung, die mehr an einer historisch-zeitdiagnostischen Momentaufnahme des von den vielen Subjekten tatsächlich Erstrebten, als an einer Klärung des zentral zugrunde gelegten Begriffs interessiert ist, scheint sich diese Unbestimmtheit in ihren Werteerhebungen (etwa zum Wertewandel) geradezu methodisch zunutze zu machen. Wo aber inhaltliche Präzision ersetzt wird durch die Intuition in einen bloß unterstellten, vermeintlich von allen gleichermaßen verstandenen Begriffsinhalt, und wo infolgedessen auch nicht danach gefragt werden kann, worin die Werthaftigkeit eines Wertes begründet ist, da verliert ein Begriff gerade das, was er leisten soll: nämlich Orientierung zu geben im Umgang mit Gegenständen, Handlungen, Qualitäten, Ereignissen, Situationen und Vorkommnissen.
Es braucht daher nicht zu verwundern, dass man der allpräsenten „Tyrannei der Werte“ (Schmitt 1967; ferner Schmitt/Jüngel/Schelz 1979; Straub 2010) überdrüssig ist. „Wer Wert sagt“, so C. Schmitt, „will geltend machen und durchsetzen. Tugenden übt man aus; Normen wendet man an; Befehle werden vollzogen; aber Werte werden gesetzt und durchgesetzt. Wer ihre Geltung behauptet, muss sie geltend machen. Wer sagt, dass sie gelten, ohne dass ein Mensch sie geltend macht, will betrügen.“ (Schmitt 1967, 55)
Soll an die Stelle der grassierenden „Axiophilie“ nicht einfach „Axiophobie“ treten, und will man die Rede von Werten nicht einfach unter Ideologieverdacht stellen (so etwa bei Gaßmann 2014 und Coelln 1996), dann muss sich die Philosophie selbst um eine präzise Begriffsbestimmung im Rahmen einer Theorie der Werte mühen, um „den Wert der Werte“ (vgl. Altmann 2010; Breitsameter 2009; Dettling 2007; Guretzky 2007; Werner 2002) begründungstheoretisch einsichtig zu machen. Denn der Begriff ist mit Blick auf seine metaphysische Gründungsgeschichte und seine auf dem Hintergrund seiner Entstehungsgeschichte durchaus problematischen Definitionsfähigkeit mit einer Vielzahl von historischen wie systematischen Problemen belastet (1.). Eine Rekonstruktion der philosophiegeschichtlichen Stationen, in denen sich seit dem 19. Jahrhundert die Konstitution des Wertbegriffs und die Theoriebildung im Feld der Wertphilosophie bzw. Werttheorie vollziehen, kann daher Licht in diesen komplexen Problemzusammenhang bringen (2.), der in der Frage nach dem Geltungsanspruch und dem Realitätsstatus von Werten kulminiert (3). Dass der Wertbegriff einen schwierigen theoretischen Status hat, weil es sich weder unmittelbar erschließt, was Werte sind, noch ob es sie überhaupt gibt, das braucht nicht zu verwundern. Was es aber mit den Werten auf sich hat, ob sie abstrakte Gegenstände oder Eigenschaften meinen, ob sie objektiv oder subjektiv, d. h. unabhängig, gar absolut, oder abhängig von und relativ zu unserer Wertschätzung existieren, und welche sinnstiftende Funktion sie haben, setzt eine Untersuchung der Logik der Wertzuschreibung voraus, wonach sich Werte als notwendig zu denkende Strebenskorrelate bestimmen lassen, die anhand ihres Bezuges zu den Tätigkeitsfelder menschlicher Praxis in ein System objektiver Werte gebracht werden können (4.). Auch wenn die Rede von Werten eine hohe Interpretationsoffenheit bei sich führt, so ist doch festzuhalten, dass es gerade die anthropologische Funktion von Wertorientierungen ist, sinnhafte Korrelate von menschlichen Strebungen zur Verfügung zu stellen, anhand deren sich Weltorientierung und Weltveränderung einsichtig machen lässt (5.). Eine tentativ-definitorische Bestimmung des Wertbegriffs kann mithin nicht am Anfang dieser Darlegungen stehen, sondern ergibt sich erst in deren Verlauf.